Jump to content

Was ist bei euch ein Portrait?


Fetzenberger

Empfohlene Beiträge

vor 2 Stunden schrieb platti:

Andererseits ist auch zu beachten, aus welchem sozialgeschichtlichen und religiösem Kontext heraus das klassische Portrait der europäischen Kulturgeschichte gewachsen ist. Dieser gilt über weite Strecken nicht mehr.

Natürlich nicht. Als die Kunst der Portraitmalerei (und -bildhauerei) in der Renaissance (wieder-) erfunden wurde, ging es den Portraitierten nicht darum, ihr wahres Wesen abzubilden, sondern einen wunschgemäßen Eindruck zu vermitteln. Sie zahlten ja auch gut dafür und es gab wenige Auftraggeber, die sich überhaupt ein Portrait leisten konnten. Das ist heute anders, und die Initiative geht öfter als früher vom Künstler aus, nicht vom Portraitierten. Um das Wesen eines bestimmten Menschen ging es aber auch in der Renaissance, nur eben nicht um das wahre Wesen, wie es der Künstler sah, sondern um ein Idealbild, wie es dem Auftraggeber vorschwebte.

In der Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ (Berlin 2011) konnte man zwei Portraitbüsten vergleichen, die Benedetto de Maiano von Filippo di Matteo Strozzi angefertigt hatte, eine erste Terrakotta-Version und die endgültige Version in Marmor. In der zweiten Version wirkt Strozzi deutlich dynamischer und energischer; die Terrakotta-Version zeigt ihn nachdenklich, leicht deprimiert und auch etwas erschöpft. Man kann sich leicht vorstellen, welche Strozzis Wesen besser wiedergab und welche ihm besser gefiel. (Da die eine Version normalerweise in Berlin, die andere aber in Paris ausgestellt ist, sind solche spannenden Vergleiche heute nicht mehr so einfach möglich.)

Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 4 Stunden schrieb mjh:

Klar darf man das … Verboten ist es schließlich nicht, aber eine gute Idee ist es auch nicht. Wenn jeder einen eingeführten Begriff auf seine völlig eigene, idiosynkratische Art verwendet, löst sich die Begriffsdefinition auf und der Begriff verliert seine Bedeutung. Wenn alles ein Portrait wäre, das jemand dafür ausgibt, dann brauchte man den Begriff gar nicht mehr zu verwenden, denn er hätte keinen fassbaren Inhalt mehr.

Diese Antwort erfolgte ja auf  den Beitrag, der die zeitliche Dynamik von Begrifflichkeiten anführt (Wer will das leugnen? Man betrachte diesbezüglich einmal die kunstgeschichtliche Dynamik hinsichtlich "Bildaufbau"...) und (die Antwort) ist eine auf die hier laufende Diskussion nicht weiterführende Position. Natürlich ist es keine gute Idee, eingeführte Begrifflichkeiten auf "völlig eigene, idiosynkratische Art" zu verwenden, aber das hat hier ja auch niemand gemacht. Niemand hat etwas als Porträt ausgegeben, was offensichtlich, also für jeden ersichtlich, nicht einmal die Mindestkriterien erfüllt (die da sind...?). 

Zitat Platti: "Allerdings hat sich seither vieles im Umgang miteinander geändert, diese Codierungen von damals sind nicht mehr zwingend notwendig. Deshalb darf auch ohne weiteres ein sogenannter „Schnappschuss“ ein Portrait genannt werden."

Dem stimme ich zu.

Zu dem Satz: "Wenn alles ein Porträt wäre..." Ich bin sicher, dass es zumindest aus den 60er/70er Jahren Skulpturen o.ä. gibt, die weit weg sind vom klassischen Begriff des Porträts als Darstellung eines Menschen (Achtung: Mindeskriterium...?), aber im offiziellen Kunstbetrieb als "Porträt des..." vom Künstler eingeführt wurden und unwidersprochen geblieben sind (ich meine mich an eine Performance von Anatol zu erinnern, in der ein Pfahl als Porträt eingeführt wurde). Schon die kubistischen Porträts zu Beginn des 20. Jhds wurden von der "Akademie" damals niedergemacht, gelten aber heute als Meisterwerke. Soviel zur zeitlichen Dynamik.

Ein Schnappschuss im eigentlichen Sinn ist auch erst möglich seitdem es neuere Kameratechnik gibt, also weit nach der Einführung des Begriffs Porträt in die darstellende Kunst. Und warum die zeitliche Dimension dessen was VOR dem Auslösen passiert in die Definition eines offensichtlichen Porträts einfließen soll ist mir nicht einsichtig.  MEINE Mindestkriterien hab ich ja bereits angeführt, und die sind durchaus diskussionswürdig und eben nicht idisynkratisch. Meine Beispiele erfüllen alle mehr oder weniger (bis auf die Rückansicht von Maria) das was man gemeinhin unter Schnappschuss versteht, ich werde sie aber jeder Zeit als Porträt verteidigen.

Als es noch keine Fotografie gab und die schnellste Form der Abbildung eine schnell hingeworfene Skizze war galt auch diese Skizze, wenn sie für sich stand, als Porträt. Man betrachte das berühmte Selbstbildnis von Leonardo da Vinci, sicher deutlich schneller ausgeführt als die Mona Lisa o.ä., also der Schnappschuss des 15. Jhd. bleibt ein Porträt genauso wie der fotografische Schnappschuss die zumindest heutigen Kriterien eines Porträts erfüllen kann, ein Schnappschuss das Porträt also nicht a priori ausschließt.

Es bleibt schwierig. Es bleibt spannend. Ich empfinde die Ausweitung von Begriffen als Befreiung. Vorausgesetzt, sie stellen sich der Diskussion und bleiben nicht "idiosynkratisch". Aber genau das soll ja ein Forum im besten Sinne vermeiden. 

 

PS: Deinen Beitrag #52 hatte ich noch nicht gelesen, als ich dies schrieb.

bearbeitet von docmartin
Die zeitliche Dimension...
Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 4 Minuten schrieb platti:

wir sollten hier nicht die Kunstgeschichte ausbreiten, das ginge zu weit ... vielleicht trifft man sich ja einmal in der wirklichen Welt ...

Würde man die Kunstgeschichte ausklammern bei dieser Diskussion würde es sehr schnell idiosynkratisch. Das hilft dann wirklich nicht weiter.

Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor einer Stunde schrieb docmartin:

[...] Meine Beispiele erfüllen alle mehr oder weniger (bis auf die Rückansicht von Maria) das was man gemeinhin unter Schnappschuss versteht, ich werde sie aber jeder Zeit als Porträt verteidigen. [...]

Interessant, wenn man sich das Foto von dem Herrn, der irgendwas dunkles hinter und einige haarige Teile vor sich hat, von dem man ohne Kontext nicht weiß, ob es lebende Tiere oder totes Fell ist, gegen Deine Definition "Das in meinen Augen wesentliche Kriterium für Porträt ist: Treffe ich in dem Bild einen Teil dessen was den Menschen ausmacht oder ist/sind das/die Foto(s) einfach nur das abklicken einer momentanen Situation völlig ohne Relevanz für den/die Abgebildete/n und ohne jede Aussagekraft für den Betrachter." hält.

Ich als kontextloser Betrachter (habe keine Serie gesehen, kenne den Herren nicht, bisschen Geschichte in Deinem Einführungsbeitrag) weiß nicht, was ich sehe, um den Ausdruck, den ich als leicht verzweifeltes Dreinblicken interpretiere, irgendeine Aussagekraft zuzuschreiben. Deshalb glaube ich, dass ein Porträt immer drei Betrachterklassen hat: Den Porträtierten, den Fotografen und alle anderen unbeteiligten, die das Foto ohne Kontext sehen. (Wenn der dargestellte Mann eine Frau hat, wird sie wissen, was er da gemacht hat, und wieder ganz anders auf das Foto blicken. So, wie Du, der den ganzen Kontext kennt.)

Rutscht gut ins neue Jahr.

Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

Werbung (verschwindet nach Registrierung)

vor 2 Stunden schrieb Objektivfett:

Interessant, wenn man sich das Foto von dem Herrn, der irgendwas dunkles hinter und einige haarige Teile vor sich hat, von dem man ohne Kontext nicht weiß, ob es lebende Tiere oder totes Fell ist, gegen Deine Definition "Das in meinen Augen wesentliche Kriterium für Porträt ist: Treffe ich in dem Bild einen Teil dessen was den Menschen ausmacht oder ist/sind das/die Foto(s) einfach nur das abklicken einer momentanen Situation völlig ohne Relevanz für den/die Abgebildete/n und ohne jede Aussagekraft für den Betrachter." hält.

Ich als kontextloser Betrachter (habe keine Serie gesehen, kenne den Herren nicht, bisschen Geschichte in Deinem Einführungsbeitrag) weiß nicht, was ich sehe, um den Ausdruck, den ich als leicht verzweifeltes Dreinblicken interpretiere, irgendeine Aussagekraft zuzuschreiben. Deshalb glaube ich, dass ein Porträt immer drei Betrachterklassen hat: Den Porträtierten, den Fotografen und alle anderen unbeteiligten, die das Foto ohne Kontext sehen. (Wenn der dargestellte Mann eine Frau hat, wird sie wissen, was er da gemacht hat, und wieder ganz anders auf das Foto blicken. So, wie Du, der den ganzen Kontext kennt.)

Rutscht gut ins neue Jahr.

Schafe melken, und ausgewählt als Teil einer Serie. Leider hab ich das Foto der Ausstellung und Teil der Reihe nicht schnell genug gefunden, es ist dieses hier:

Die „Betrachterklassen“ sind mE gut beschrieben.

bearbeitet von docmartin
Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 6 Stunden schrieb mjh:

Wenn alles ein Portrait wäre, das jemand dafür ausgibt, dann brauchte man den Begriff gar nicht mehr zu verwenden, denn er hätte keinen fassbaren Inhalt mehr.

Dem stimme ich zu, aber da beschreibst du ja einen Extremfall. Das Nutzen genau definierter und genormter Begrifflichkeiten ist in gewissen Kontexten unerlässlich (beispielsweise Fachbegriffe im Beruf, um Missverständnisse und Fehler zu vermeiden). In anderen Kontexten kann man das lockerer sehen. Es kommt immer darauf an, wer mit wem kommuniziert. Als ehemaliger Elektriker juckt es mich schon mal, wenn meine Mitmenschen von Kabeln sprechen und doch eigentlich Leitungen meinen. Aber ich weiß ja, was gemeint ist, und passe mich da sogar an. Ich muss sie nicht dazu erziehen, den richtigen Begriff zu nutzen, weil es in dem Kontext nicht wichtig ist. Würde ich wieder als Elektriker arbeiten, würde ich auf diese Unterscheidung achten. So kann ein Begriff verschiedene Definitionen haben, ohne inhaltsleer zu werden. Es ist nur wichtig, das jeweilige Begriffsverständnis abzugleichen, damit man noch über die selbe Sache spricht. Worte haben immer nur die Bedeutung, die wir ihnen geben. Und Sprache wandelt sich nunmal. Das gefällt mir auch nicht immer, dafür nehme ich es auch oft viel zu genau. Um jetzt aber nochmal auf das Forum zurückzukommen, das ist ja in dem Sinne keine Fachveranstaltung, wo man eine Expertise nachweisen muss, um teilnehmen zu dürfen. Hier treffen sich ja Menschen aus den verschiedensten Bereichen. Vielleicht ist es der Umstand, dass alle hier angemeldet sind, weil sie sich irgendwie für Fotografie interessieren, der den falschen Anschein erweckt, man könne hier eine Fachlichkeit voraussetzen. Der Verlauf des Threads ziegt aber auch ganz gut, dass fruchtbare Diskussionen entstehen können, wenn man mal bei der Ich-Botschaft bleibt und nicht anderen Sprach- oder Definitionsvorschriften machen möchte.

Guten Rutsch allerseits.

Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 12 Stunden schrieb docmartin:

Würde man die Kunstgeschichte ausklammern bei dieser Diskussion würde es sehr schnell idiosynkratisch. Das hilft dann wirklich nicht weiter.

Es geht ums ausbreiten, nicht ausklammern, aber jeder darf sich doch auch selber informieren ...

bearbeitet von platti
Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

Frohes Neues

und eine Zwischenfrage: im Thread der Streetfotografie gab es ja schon ein paar Mal durch einzelne angestoßene Bereinigungsversuche durch Reflexion in Richtung Forenteilnehmer und Definition, was Street denn nun sein soll, etc. Also ähnlich diesem hier... muss mit dem Thema Menschen zu tun haben oder denen, die Menschen fotografieren (ich sehe gerade, dass es im Thema Selbstportät auch schon los geht).

Hat dies dort etwas gebracht? Sind die Bilder weniger geworden, die sich nicht so streng an die Definition gehalten haben, weil eventuell einige auch einfach die Lust am Thread verloren haben?
Ich kann das nicht beurteilen, da ich dort nicht so oft reinschaue.

bearbeitet von grillec
Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 12 Minuten schrieb grillec:

Frohes Neues

und eine Zwischenfrage: im Thread der Streetfotografie gab es ja schon ein paar Mal durch einzelne angestoßene Bereinigungsversuche durch Reflexion in Richtung Forenteilnehmer und Definition, was Street denn nun sein soll, etc. Also ähnlich diesem hier... muss mit dem Thema Menschen zu tun haben oder denen, die Menschen fotografieren (ich sehe gerade, dass es im Thema Selbstportät auch schon los geht).

Hat dies dort etwas gebracht? Sind die Bilder weniger geworden, die sich nicht so streng an die Definition gehalten haben, weil eventuell einige auch einfach die Lust am Thread verloren haben?
Ich kann das nicht beurteilen, da ich dort nicht so oft reinschaue.

Je mehr ich mich mit theoretischen und grenzüberschreitenden Aspekten der Fotografie auseinandersetze desto weniger aber bewusster fotografiere ich. Zumindest werden so (hoffentlich) die schlechten Fotos weniger.

Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 2 Stunden schrieb grillec:

Hat dies dort etwas gebracht? Sind die Bilder weniger geworden, die sich nicht so streng an die Definition gehalten haben, weil eventuell einige auch einfach die Lust am Thread verloren haben?

Für die, die sich an einer solchen Diskussion substantiell beteiligen, könnte eine Reflexion vor dem Einstellen von Bildern möglich sein. Dem Forenten, der einen geeigneten Faden für seine Fotos sucht, wird die geführte Diskussion vermutlich sowieso entgehen. Aber auch die in der bisherigen Diskussion gezeigte Vielfalt an Ansichten wird sich weiterhin in den eingestellten Bildern zeigen.

bearbeitet von X-dreamer
Rechtschreibung
Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 14 Minuten schrieb docmartin:

Je mehr ich mich mit theoretischen und grenzüberschreitenden Aspekten der Fotografie auseinandersetze desto weniger aber bewusster fotografiere ich. Zumindest werden so (hoffentlich) die schlechten Fotos weniger.

Ich denke jeder kann für sich bewusst fotografieren und dadurch Fotos machen, die einem besser gefallen. Und das ist auch gut so.
Ich wollte aber in meinem Beitrag eher das Vorgehen im Forum ansprechen, zuerst ein allgemeines neues Thema aufzumachen (Was ist Street? Was ist Porträt? etc), dann umzuschwenken auf "Mir gefallen irgendwelche beliebig eingestellten Fotos im Forum nicht, da sie nicht den allgemeinen Regeln entsprechen" und das solle diskutiert werden.
Ob das für Streetfotografie funktioniert hat, wollte ich nur wissen.

bearbeitet von grillec
Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 17 Stunden schrieb docmartin:

(ich meine mich an eine Performance von Anatol zu erinnern, in der ein Pfahl als Porträt eingeführt wurde).

Dann war/ist  der/die Portraitierte vielleicht ein Vollpfosten - passt dann doch wie die Faust auf´s Auge ;) ...

Nach dieser Definition wäre auch ein mit dem Portrait-Modus eines Smartphones oder anderer Kamera erstelltes Bild ebenfalls ein solches.

Ich finde, wenn ein Künstler eine seiner speziellen Darstellungen (siehe Zitat) als Portrait definiert, ist das zwar künstlerische Freiheit, muss aber nicht von jedem so aufgefasst werden.
Und der Spruch: "Ist das Kunst, oder kann das weg?" kommt auch nicht von ungefähr ...

In diesem Sinne sollten wir nicht alles so bierernst sehen 😁

Euch allen ein schönes und entspanntes Jahr 2021!

bearbeitet von Allradflokati
Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

Der Faden entwickelt sich besser, als ich geahnt habe. Deswegen als Ergänzung ein Zitat aus Thomas Manns "Zauberberg": Für Thomas Mann war Fotografie so etwas wie eine zeitgemäße (1920) Narretei. Zitat:

"Plötzlich war es Ehrensache, selbst zu entwickeln...Man versah Fenster und Balkontüren der Zimmer mit schwarzen Vorhängen; und bei Rotlicht hantierte man so lange mit chemischen Bädern, bis Feuer auskam...Bald fand man das einfache Lichtbild abgeschmackt; Blitzlicht und farbige Fotografien nach Lumiere..." 

Und jetzt zur Portraitfotografie: "Man weidete sich an Bildern, auf denen Personen, vom Magnesiumblitz jäh betroffen, mit stieren Augen aus fahl verkrampften Gesichtern blickten, wie Leichen Ermordeter, die man mit offenen Augen aufrecht hingesetzt."😀 Wie oben erwähnt, das war in den 20igern und hat mit der heutigen Kunst des Portaitierens nichts mehr zu tun. Wollte Euch dieses schöne Zitat jedoch nicht vorenthalten.  

Gustav

P.S.: Thomas Mann wurde im Laufe der Zeit zum am meisten fotografierten Schriftsteller. Es gab keinen namhaften Fotografen seiner Zeit , der nicht ein SW-Portrait von Thomas Mann lieferte. Und er ließ es sich wohlgefallen.

bearbeitet von stmst2011
Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 14 Minuten schrieb stmst2011:

"Man weidete sich an Bildern, auf denen Personen, vom Magnesiumblitz jäh betroffen, mit stieren Augen aus fahl verkrampften Gesichtern blickten, wie Leichen Ermordeter, die man mit offenen Augen aufrecht hingesetzt."

Nur mal am Rande bemerkt: Früher gab es tatsächlich Fotografen, die sich auf die Fotografie von frisch Verstorbenen spezialisiert hatten. Diese wurden in ihrer besten Kleidung in einen Sessel gesetzt, nötigenfalls irgendwie festgetackert, und dann allein und/oder im Kreise ihrer überlebenden Lieben abgelichtet. Immerhin hielten sie still. Auf dem Abzug wurden am Ende noch offene Augen hinein retuschiert. Für viele Menschen war es das einzige Foto … ihres Lebens passt nicht so recht, aber Ihr versteht schon.

Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 22 Stunden schrieb platti:

wir sollten hier nicht die Kunstgeschichte ausbreiten, das ginge zu weit ...

In DOCMA habe ich ja eine Serie „Bildgestaltung nach dem Vorbild der Alten Meister“, weil sich eben auch Fotografen Anregungen aus der Kunstgeschichte holen können. Diese Serie war eigentlich mit vier Teilen für ein Jahr geplant, wird jetzt aber doch noch einmal fortgesetzt, mal sehen wie lange. (Unser Herausgeber ist promovierter Kunstwissenschaftler, da gehen auch solche eher randständigen Themen in Ordnung. Auch wenn ich selbst als Informatiker nicht wirklich vom Fach bin, aber halt vielseitig interessiert.)

Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 13 Minuten schrieb mjh:

Nur mal am Rande bemerkt: Früher gab es tatsächlich Fotografen, die sich auf die Fotografie von frisch Verstorbenen spezialisiert hatten. Diese wurden in ihrer besten Kleidung in einen Sessel gesetzt, nötigenfalls irgendwie festgetackert, und dann allein und/oder im Kreise ihrer überlebenden Lieben abgelichtet. Immerhin hielten sie still. Auf dem Abzug wurden am Ende noch offene Augen hinein retuschiert. Für viele Menschen war es das einzige Foto … ihres Lebens passt nicht so recht, aber Ihr versteht schon.

Ganz so weit ins „Früher“ muss man gar nicht zurück. Beeindruckend zu diesem Thema gibt es diese beiden Mensc hen und ihre Arbeiten:

https://www.dw.com/de/noch-mal-leben-vor-dem-tod/a-16342965

 

Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 11 Minuten schrieb Uwe Richter:

Ganz so weit ins „Früher“ muss man gar nicht zurück. Beeindruckend zu diesem Thema gibt es diese beiden Mensc hen und ihre Arbeiten:

https://www.dw.com/de/noch-mal-leben-vor-dem-tod/a-16342965

Ich weiß, aber dieses Projekt ist schon noch etwas anderes als das Genre, von dem ich sprach.

Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 52 Minuten schrieb stmst2011:

"Man weidete sich an Bildern, auf denen Personen, vom Magnesiumblitz jäh betroffen, mit stieren Augen aus fahl verkrampften Gesichtern blickten, wie Leichen Ermordeter, die man mit offenen Augen aufrecht hingesetzt."😀 Wie oben erwähnt, das war in den 20igern und hat mit der heutigen Kunst des Portaitierens nichts mehr zu tun. Wollte Euch dieses schöne Zitat jedoch nicht vorenthalten.  

In einem Satire/Parody-Film eines Westerns wird diese Sache veralbert, indem erzählt wird, es gäbe ein Foto, auf dem hätte tatsächlich jemand gelacht und es hätte bestimmt total albern ausgesehen :)

Hippolyte Bayard hat 1840 das erste "Fake"-Foto Autoportrait en noyé („Selbstporträt als Ertrunkener“) aufgenommen, in dem er von sich ein Selbstporträt als Ertrunkener gemacht und hinten mit einem ironischen Text versehen hatte:
"
Die Leiche des Mannes, die Sie umseitig sehen, ist diejenige des Herrn Bayard…Die Akademie, der König und alle diejenigen, die diese Bilder gesehen haben, waren von Bewunderung erfüllt, wie Sie selber sie gegenwärtig bewundern, obwohl er selbst sie mangelhaft fand. Das hat ihm viel Ehre, aber keinen Pfennig[5] eingebracht. Die Regierung, die Herrn Daguerre viel zu viel gegeben hatte, erklärte, nichts für Herrn Bayard tun zu können. Da hat der Unglückliche sich ertränkt. H.B., 18. Oktober 1840.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Hippolyte_Bayard

bearbeitet von grillec
Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 10 Minuten schrieb Uwe Richter:

Für viele Menschen war es das einzige Foto …

Mir fiel letzten schon ein Fotograf ein, als ich diesen Thread las, der mit dem Fahrrad in abgelegenen Ecken Südamerikas unterwegs ist und die Menschen dort fotografiert und ihnen das Foto schenkt. Nebenbei verteilt er Solarlampen und Wasserfilter, für die er Spenden gesammelt hat: https://www.theironlyportrait.com/prints/

Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 4 Minuten schrieb grillec:

In einem Satire/Parody-Film eines Westerns wird diese Sache veralbert, indem erzählt wird, es gäbe ein Foto, auf dem hätte tatsächlich jemand gelacht und es hätte bestimmt total albern ausgesehen :)

...

Ja, musste ich auch dran denken, kürzlich erst wieder gesehen:

 

Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

Am 30.12.2020 um 23:50 schrieb Objektivfett:

Einen in meinen Augen interessanten Aspekt würde ich noch gerne in die Diskussion werfen:

Meint Ihr, dass der Porträtierte beim Porträt im Bewusstsein des Porträtiertwerdens sein muss?

Heute hat @Jürgen Heger mit einem Lachen auf meinen Beitrag reagiert. Das freut mich, weil es aktuell eh zu wenig zum Lachen gibt. Und Lachen ist gesund.

Mein Beitrag davor, der - so hoffte ich - für jedermann ersichtlich humorig gemeint war, hatte wohl zur Folge, dass mein zweiter Beitrag in diesen witzigen Schlagschatten geraten ist.
Da er mir aber als Ausgangspunkt einer These zu wichtig ist, will ich es nochmal erklären:

Seht Euch mal dieses Foto im Porträtthread an. Als ich das Foto im Thread sah, habe ich mich instinktiv gefragt, ob es denn ein Porträt sei. Ich gebe offen zu, dass es mich nicht besonders fesselt. Aber man kann aus dem Foto allerhand herauslesen. Auch bekomme ich als Betrachter ein Gefühl von der Person. Vom vielbeschworenen "Charakter" oder "Wesen".

Das Foto scheint ein Schnappschuss zu sein. Ein Foto, bei dem sich die dargestellte Person wohl nicht im Bewusstsein des Fotografiertwerdens befunden hat. Aber genau das führt dazu, dass die Person sich allem Anschein nach nicht verstellt hat. Ich sehe also etwas deutlich unverfälschter als wenn die Person gewusst hätte, dass sie fotografiert wird.

Der Schnappschuss auf der einen Seite, mit dessen Begriff man oftmals eine minderwertige Fotografie verbindet, der aber das Potential zu einer Unverfälschtheit in sich trägt, und auf der anderen Seite das wohlüberlegte, gestellte, inszenierte Porträt, dem aber immer irgendwie das Gewollte innewohnt (z.B. hier, was ich fotografisch absolut gelungen, aber über die Person nichtssagend empfinde). Wenn der Porträtierte um das Porträtiertwerden weiß, besteht m.M.n. immer die Gefahr der bewussten Inszenierung, um ein Bild zu erzeugen, das in das eigene Selbstverständnis passt. Und je mehr die Person vom kommunizierten Selbstverständnis lebt, desto mehr zeigt m.M.n. ein Foto davon eine mehr oder minder geplante Inszenierung.

Wer kennt nicht das reflexartig in die Kamera gehaltene Victory-V mit den Fingern, wenn der Fotografierte vom Fotografieren überrascht wird. Das Bewusstsein über das Fotografiertwerden ändert m.M.n. immer etwas beim Fotografierten. Mal mehr, mal weniger. Es hat aber immer einen Einfluss.

Warum diskutiere ich hier mit? Ich halte den Anspruch, aus einem Foto (Porträt) kontextlos irgendetwas über das Wesen/Charakter der Person folgern zu können, als völlig überzogen.  Da wird ein Anspruch hochgehalten, der gar nicht erfüllt werden kann.

Schaut Euch das Foto von @docmartin an, auf dem die junge Frau in S/W von oben abgebildet ist: Ich kann vom Wesen der Frau absolut nichts sagen. Ja, sie gefällt mir (subjektiv, Obacht!), aber von ihrem Wesen? Null, nichts. Gar nichts. Das Foto ist als kontexloser Betrachter vollkommen aussageleer. Die einzige Frage, die noch eine Hinweis über Ihr Wesen zuließe, ist die, ob die junge Frau wusste, dass die von oben fotografiert wurde oder eben nicht. Und ich glaube, dass ganz ganz viele Fotos als Ausgangspunkt die Fotografenaussage "Schaut her, das gefällt mir!" haben. Nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht hat der Fotograf etwas in dem Foto gesehen, das repäsentativ für die dargestellte Person schien. Der kontextlose Betrachter kann nur raten.

Ich habe weiter oben eine Dreiteilung der Betrachterklassen in die Diskussion geworfen. Ich möchte das hier nochmal aufgreifen. Das gerade zitierte Foto ist mit Sicherheit ein Erinnerungsfoto für @docmartin und die dargestellte Frau. Beim Betrachten kommen sofort alle Erinnerungen hoch. Bestimmt verschiedene, wenn man beide getrennt befragt. Die Frau wird wissen, wem sie gerade gelauscht hat. Der Fotograf wird wissen, was ihn gereizt hat, genau aus der Perspektive abzudrücken. Es wird sich für beide sofort Assoziationen ergeben. Diese erschließen sich aber nicht für den unbeteiligten Dritten.

Und deshalb glaube ich, dass eine Vielzahl aller erzeugten Fotos eigentlich Erinnerungsfotos sind, die ihre Kraft nur für die Beteiligten (nach einiger Zeit Distanz) entfalten. Hingegen scheinen mir wenige Fotos eine Aussage für Dritte zu haben, die über ein "Schaut her, das hat mir gefallen!" hinausgehen.

Was bedeutet das: Ein Porträt kann für den Fotografen und für den Porträtierten einen großen Wert haben, auch wenn sich dieser dem unwissenden, unbeteiligten kontextlosen Betrachter nicht erschließt. Kenne ich also nichts vom Kontext, werde ich immer nach Fotografietechnik und persönlichem Geschmack urteilen. Das ist  gemein, aber leider wahr.

In diesem Sinn wird jedes Menschenbild, von dem der Fotografierende meint, es zeige einen zeigenswerten Aspekt der dargestellten Person, seine Berechtigung im Thread "Portrait für jedermann" haben. Ob es denn technisch oder inhaltlich für Dritte ansprechend ist, steht wieder auf einem anderen Blatt. Wenn der Fotograf es jedoch einstellt, weil er glaubt, seine Ergüsse düften nicht ungelöscht bleiben, dann ist es m.M.n. wohl eher ein "Fail". Wenn er es einstellt, um herauszufinden, ob es so schlecht ist, wie er glaubt, ist es schon wieder legitim. Man darf eins nicht vergessen: Das schnelle Überblättern ist so einfach.

Gute Nacht.

 

bearbeitet von Objektivfett
Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

vor 20 Stunden schrieb Objektivfett:

Heute hat @Jürgen Heger mit einem Lachen auf meinen Beitrag reagiert. Das freut mich, weil es aktuell eh zu wenig zum Lachen gibt. Und Lachen ist gesund.

Mein Beitrag davor, der - so hoffte ich - für jedermann ersichtlich humorig gemeint war, hatte wohl zur Folge, dass mein zweiter Beitrag in diesen witzigen Schlagschatten geraten ist.
....

Das Lachen, genauer Schmunzeln, war meine spontane und durchaus wohlwollend gemeinte Reaktion auf Deine schöne Formulierung, die ich im ersten Moment als Parodie auf die hier geführten Diskussionen verstand. Nachdem ich spontan das Lachgesicht vergeben hatte, ist mir allerdings klar geworden, dass das von Dir ein durchaus ernst gemeinter und vernünftiger Beitrag ist. Dann habe ich überlegt,  ob ich das Lachen in ein Herzchen ändern soll. Es ist beim Lachen geblieben, weil

- es meine erste Reaktion war

- mir die geschraubte Formulierung wichtiger ist als die Aussage bzw. die Frage,  obwohl ich die für absolut berechtigt ansehe

- mir die Diskussion hier, wie auch an anderen Stellen im Forum, viel zu vehement geführt wird. Da kann ein bisschen Lachen nicht schaden 😊.

bearbeitet von Jürgen Heger
Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

Diskutiere mit!

Du kannst direkt antworten und dich erst später registrieren. Wenn du bereits einen Account hast, kannst du dich hier anmelden, um unter deinem Usernamen zu posten.
Note: Your post will require moderator approval before it will be visible.

Gast
Auf dieses Thema antworten...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung jetzt entfernen

  Only 75 emoji are allowed.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Clear editor

×   Du kannst Bilder nicht direkt einfügen. Lade Bilder hoch oder lade sie von einer URL.

×
×
  • Neu erstellen...