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Über das Einer-Sache-gerecht-Werden (Jekami)


Alsbald

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"Angemessen und gerecht" hängt immer von der Meinung des einzelnen ab. Man denke nur an viele aktuelle Themen. Ein Impfgegner wird es für richtig halten, besonders auf die Fälle hinzuweise, wo eine Impfung nicht geschützt hat oder wo die Nebenwirkungen schlimmer als die milden Verläufe sind. Der Impfbefürworter wird genau diese Punkte weniger betonen und dafür auf die Schutzwirkung hinweisen. Jeder wird der festen Überzeugung sein, dass er eine angemessene Darstellung betreibt und der Sache gerecht wird.

Bei diesem Ort gefällt den einem vielleicht die seit langer Zeit wenig veränderten Fassaden, die ein traditionelles Stadtbild ergeben. Man könnte aber auch sehen, dass hinter kleinen Fenstern dunkle Räume liegen und dass das romantische Pflaster für Rollatoren mindestens unbequem ist.

Es wird also nach meiner Meinung immer nur darum gehen können, ob man seiner eigenen Sache gerecht wird. In der Fotografie kann man nur versuchen, seine eigenen Vorstellungen unzusetzen. Man muss aber immer damit rechnen, dass andere es anders sehen.

Die Bilder, mit denen diese Diskussion gestartet wurde, und die weiteren von @Alsbald gefallen mir übrigens ausgesprochen gut, egal ob er irgend einer Sache gerecht geworden ist😀 ist oder nicht.

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Am 19.5.2023 um 12:57 schrieb Alsbald:

Was darf ich mir erlauben, um das Bild zu erzeugen (oder auch: zu erhalten), das ich von einer Szene habe?

Wer, wie ich oben, einen solchen Satz hinschreibt, muss in Kauf nehmen, missverstanden zu werden. Vorweg also: Ich bin selbst schuld daran, wie sich dieses Thema entwickelt hat. Es wäre geboten gewesen, mit dem Wort "erlauben" sorgfältiger umzugehen, als ich es getan habe. Nun also mein Versuch, das wiedergutzumachen.

Es kann nicht darum gehen, was einem als Fotoamateur im Wortsinn durch andere gestattet ist. Ich kann nur sagen – und einige der obigen Antworten bringen das auch zum Ausdruck: Alles ist erlaubt. Ich darf die kuriosesten Perspektiven wählen, falsch oder richtig belichten, verwackeln und die Kamera schief halten und alles Erdenkliche mehr. Denn wer wollte es mit untersagen. In diesem Sinn also gilt: Anything goes!

Schon aus diesem Grund lag es mir völlig fern, Regeln zu diskutieren (von denen ich zu wenig weiß und noch weniger verstehe), zumal dies hier auch gar nicht der richtige Ort für so etwas wäre.

Alles, was ich oben am Beispiel meiner kleinen Exkursion in der Stadt Glurns an Gedanken ausgebreitet habe, lässt sich auch ganz anders ausdrücken. Und dabei erzähle ich ausdrücklich von mir allein und ohne jegliche Überlegung, anderen in ihre eigene Motivation für die Fotografie oder ihre Sichtweise darauf dreinzureden.

Wenn ich frage, was "ich mir erlauben darf", um einem Gegenstand mit fotografischen Mitteln "gerecht" zu werden, so steht dahinter die Überlegung: Beschränke ich mich darauf, ein Motiv unter ästhetischen und formalen Gesichtspunkten zu fotografieren (also nach dem schönen Bild zu jagen), oder setze ich mich darüberhinaus inhaltlich mit dem auseinander, was ich wahrnehme.

Dass Fotografie immer auch Inszenierung ist, steht außer Zweifel. Aber: Wie inszeniere ich etwas, um ihm gerecht zu werden? Mache ich einen Golfplatz zur gepflegten oder zur korrumpierten Natur, zeige ich die Gegend um die Drei Zinnen in den Dolomiten als erhabene Bergnatur oder als Rummelplatz in alpiner Umgebung?

Man mag sagen: Beides trifft zu! Und ich kann das nur bestätigen. Aber nun: Suche ich mir klar darüber zu werden, an welcher der beiden Sichtweisen ich meine Inszenierung ausrichte? Oder lasse ich das sein und versuche einfach nur, das schönstmögliche/bestmögliche/originellste Bild zu machen?

An einem Beispiel möchte ich meine Übrlegung noch einmal deutlich machen. Die folgenden Bilder sind in einer Ausstellung über das Schaffen zweier Südtiroler Typografen in einem durchdacht renovierten mehrstöckigen Gebäude in den Meraner Lauben entstanden (Typoésien: Heinz Waibl / Siegfried Höllrigl; Kunst Meran, noch bis 4. Juni). Die erste der beiden Aufnahmen ist ein Kuriosum und sie zeigt einen originellen Sachverhalt, nämlich den Blick aus einem Fenster hinaus in einen Innenraum:

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Das ist eine "nette" Perspektive, die davon lebt, dass sie irritiert und Ungewohntes in Szene setzt.

Doch dann ging es mir durch den Kopf, dass dieses Bild weder die Wirkung noch den Anspruch dieser Ausstellung wiedergibt, es ihr somit nicht "gerecht wird". Also habe ich versucht, das Problem auf eine andere Art anzugehen – weniger originell, eher dokumentierend – und in den Vordergrund zu rücken, was hier gezeigt wird: typografisches Inventar (Buchstaben eben) und dessen Einsatz am Beispiel von gut gestalteten Plakaten (Druckkunst eben). Und einen Raum, der allein schon durch sich selbst wirkt:

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Und damit ist es ausgespielt, das kleine Spiel mit Gedanken.

bearbeitet von Alsbald
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Ich sehe das so:

Mir scheint, als erkennst du grad, dass es eine immer währende und stets dynamische Beziehung zwischen Betrachter und Betrachtetem gibt. Es gibt unendlich viele Wege etwas darzustellen, es zu sehen, zu fühlen oder einzufangen, bzw. präsentiert sich das Betrachtete fortwährend in unzähligen, sich dynamisch ändernden Möglichkeiten. Du bist dynamisch und der Ort oder das Modell, dass du fotografierst sind dynamisch, deine Kameraeinstellungen sind dynamisch. Alles ändert sich fortwährend, es gibt kein richtig und kein falsch. Mit jedem einzelnen Klick deiner Kamera fängst du genau einen (1) einzigen Moment ein, einen einzigen Blickwinkel und nicht mehr. Jemand anderes fängt einen anderen Moment, einen anderen Blickwinkel ein. Eine Sekunde, einen Schritt später oder einen Kopf kleiner oder größer präsentiert sich das Betrachtete wieder neu. Und genauso neu siehst du alles in jeder Sekunde neu. Eine Wolke zieht auf, ein Mensch kommt, ein Vogel fliegt vorbei, eine andere Filmsimulation oder Belichtungszeit ist ausgewählt. Das Leben und somit jeder Ort und jeder Moment ist neu und noch nie davor da gewesen. Und auch dein Blickwinkel und deine Betrachtung und Sichtweise der Dinge ist immer neu, so wie du deine Aufnahmeparameter immer neu einstellen kannst. Und dieser eine Eindruck in diesem einen Moment ist immer echt und immer wahrhaftig. Aber nur für diesen Moment. Fotografie ist es, diesen einen Moment einzufangen. Im nächsten Moment ist der Ort aber wieder ein anderer, so wie du ein anderer geworden bist.

Deshalb denke ich, kannst du nie dem Ort gerecht werden, sondern du kannst nur dem Moment gerecht werden und erkennen, dass der Betrachter und das Betrachtete immer in Beziehung zueinander stehen. Dein Bild ist nicht getrennt von dir, der Ort ist nicht getrennt von dir, ihr seid eins und das kann man im Bild festhalten und dieser Moment ist immer wahrhaftig.

Wenn es für einen Auftragsfotografen darum geht eine bestimmte Szene oder einen bestimmten Ort einzufangen, geht es in der Regel immer darum eine bestimmte Aussage bildlich zu unterstreichen. Damit wird man der gewünschten Aussage gerecht, mehr aber auch nicht. Nicht dem Ort oder dem Modell, sondern nur einer Erwartungshaltung des Auftraggebers oder dem Ego das Modells. Und oft ist man halt selbst sein "Auftraggeber" und entscheidet, ob man mit dem festgehaltenen Bild seiner eigenen Erwartung gerecht geworden ist oder eben nicht. Oder ob man den Erwartungshaltungen anderer gerecht geworden ist oder gerecht werden will.

… 

Ergänzend noch ein eigenes Beispiel: Ich fotografiere ja viel Natur. Angenommen es kommt ein für mich interessanter und schöner Vogel angeflogen. Ich zücke meine Kamera und halte hektisch drauf. Als Ergebnis habe ich eine kleine Serie verwackelter Fotos aus einer unschönen Perspektive. Bin ich dem (in meiner Wahrnehmung schönen) Vogel gerecht geworden? Vermutlich würde die meisten, inkl. mir selbst sagen, nein. Der Vogel ist viel schöner, als auf meinen Fotos, sein Flug und seine Sicht viel erhabener. Bin ich dem Moment gerecht geworden? Ja. Ich, mit in meiner Hektik den vielleicht nicht ideal gewählten Kameraeinstellungen bin dem Moment absolut gerecht geworden, mehr war da in dem Moment nicht drin. Das ist der Moment. Aber bin ich dem Vogel wirklich nicht gerecht geworden? Vermutlich interessiert es den Vogel überhaupt nicht, ob ich ein Foto von ihm machen und ich meiner idealisierteren Vorstellung des Vogels gerecht werde. Der Vogel ist sich selbst gerecht, er braucht mein Foto überhaupt nicht, um er selbst zu sein und so schön zu fliegen. Er ist sich selbst genug. Bin ich meinen Erwartungen gerecht geworden? Nein, ich will halt ein besseres Foto von dem Vogel für mich. Also muss ich weiter üben und werde vielleicht in einem anderen Moment ein Foto von einem anderen (oder vielleicht sogar vom selben) Vogel machen, das meiner Vorstellung vom Vogel gerecht wird, vielleicht auch nicht. Der Moment war aber trotzdem wahrhaftig. 

bearbeitet von RedRobin
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vor 13 Stunden schrieb platti:

… oder einfach weniger aufwendig formulieren …

Das ist ein wohl angebrachter Hinweis. Aber vielleicht ist es ja auch so, dass einem Nebensätze um so mehr auf den Geist gehen, je weniger einen ein Thema interessiert.

vor 12 Stunden schrieb RedRobin:

Wenn es für einen Auftragsfotografen darum geht eine bestimmte Szene oder einen bestimmten Ort einzufangen, geht es in der Regel immer darum eine bestimmte Aussage bildlich zu unterstreichen. Damit wird man der gewünschten Aussage gerecht, mehr aber auch nicht.

Mit dem "Gerecht-Werden" hab ich was angerichtet. Gemeint ist doch nicht eine Gerechtigkeit, die höchsten ethischen Prinzipien standhält und für deren Verletzung der Stab über einem gebrochen wird. Es geht mir um etwas viel Einfacheres, das in der Umgangssprache selten missverstanden wird. Wie werde ich einem Menschen gerecht? Indem ich ihm zuhöre, das, was er mir sagt, nachvollziehe und mich selbst möglichst nicht zu einem Opfer meiner vorgefassten Meinungen mache. Auf die Fotografie umgesetzt: Belasse ich's mit meinem Interesse am Motiv beim Anschein oder versuche ich zu verstehen, was da vor mir steht?

Das obige Beispiel mit dem "Auftragsfotografen" ist hilfreich, da es von einer "Aussage" spricht. Und darum geht es mir: Will ich ein Bild machen, weil mich das Motiv gerade anspricht? Oder beschäftige ich mich mit dem, was vor mir steht? – Natürlich ist das eine Frage des fotografischen Interesses, die jeder und jede für sich und nach eigenen Maßstäbn beantworten wird. Und damit diese Aussage nicht in völliger Beliebigkeit versinkt, bleibe ich bei mir selbst:

Für mich war und ist Fotografie eine Methode, genauer hinzusehen, zu erkennen, dass die Dinge ihre Geschichte haben, die man erzählen kann. Das gilt für Architektur, Landschaft, Street und Menschen gleichermaßen. Das Kriterium für mich ist: Habe ich einfach "draufgehalten" (richtig belichtet, korrekt scharfgestellt, den angemessenen Abstand gewählt) oder habe ich umzusetzen versucht, was für mich die Aussage eines Gegenstandes ist? Zu dieser Aussage muss ich zuvor gekommen sein, und das ist es, was es für mich bedeutet, einer Sache gerecht zu werden: Interesse jenseits der Oberfläche, das Gesehene beurteilen, einordnen.

Ein Beispiel, das den meisten etwas sagen wird, fällt mir ein. – Ich kann Venedig als Klischee fotografieren, sozusagen tauglich für die Tourismuswerbung, mit dem Blick auf ein Idyll, in dem ich mich wie in eine andere Welt versetzt fühle. Oder ich kann in meine Ansichten die Problematik mit einbeziehen, mit der die Stadt zu kämpfen hat: dass Verfall nicht nur malerisch ist, sondern eine Bedrohung für die Bausubstanz wie für die Bewohner; dass der Tourismus nicht nur Geld bringt, sondern in seinem Übermaß das soziale Gefüge fast irreparabel zerstört; dass die sichtbare Pracht die Hinterlassenschaft einer jahrhundertelang klugen, aber ebenso gnadenlosen Politik mit rigiden Machtansprüchen nach außen wie nach innen ist. Kurzum, ich muss mir ein Urteil über die Stadt bilden, um dort fotografieren zu können.

Aber das gilt für mich, nicht allgemein. Das heißt keineswegs, dass man das nicht auch vollkommen anders sehen kann, einfach nach schönen Bildern jagt, die Stadt nach seinem eigenen Geschmack inszeniert.

Wie gesagt: Ich rede nur von den Gedanken, die ich mir übers Fotografieren mache, über mein Fotografieren.

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vor 7 Minuten schrieb Alsbald:

Das ist ein wohl angebrachter Hinweis. Aber vielleicht ist es ja auch so, dass einem Nebensätze um so mehr auf den Geist gehen, je weniger einen ein Thema interessiert.

Mit dem "Gerecht-Werden" hab ich was angerichtet. Gemeint ist doch nicht eine Gerechtigkeit, die höchsten ethischen Prinzipien standhält und für deren Verletzung der Stab über einem gebrochen wird.

Nebensätze sind dann etwas schwierig, wenn sie Beschreibungen oder Ideen zu sehr in die Länge ziehen. Nicht jeder ist ein Marcel Proust oder Robert Musil ...

"Gerecht werden" hat hier, denke ich, keiner so verstanden, wie du das oben insinuierst.

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